Social Hype Clubhouse: Voice-, App-, Members-Only und trotzdem die Townhall 2021?

Cosmonauts and Kings
7 min readJan 19, 2021

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Die neue Social-Media-App Clubhouse / Foto: Cosmonauts and Kings

Ein erster Blick auf die neue Social-App Clubhouse: Was steckt hinter dem Hype und welches Potenzial hat die App für politische Kommunikation.

Von Simon Bölts.

Man kann von Clubhouse halten was man will, aber an einem Sonntag in der Pandemie erschien ein neuer (potenzieller) Rising Star am deutschen Social Media Himmel. Das Netz reagierte mit einer Mischung aus Throwbacks an den Start von Twitter, die ersten re:publicas und Kritik über die Zugänglichkeit und Datenschutzkonformität. Was genau steckt hinter der App aus den USA und welche Rolle könnte sie in der politischen Kommunikation spielen?

Was ist Clubhouse?

Der klassische Forengedanke wurde von den Erfindern von Clubhouse auf das 21. Jahrhundert übertragen. Heißt: Voice-Only, App-Only, Members-Only. In mehreren virtuellen Rooms laufen live Gespräche zu verschiedensten Themen rund um Marketing, Personal Branding, Social Trends, Diversity, in manchen wird sogar Musik gestreamt und natürlich: Politik. Die Räume kann jede*r eröffnen und theoretisch kann auch jede*r beitreten. Moderator*innen führen durch das Gespräch.

Wie nutze ich die App?

First things first: Zurzeit läuft die App nur auf IPhones (bzw. IPads). Android Nutzer*innen können Clubhouse auf ihren Geräten (noch) nicht laden. Nachdem man einen heißbegehrten Invite bekommen hat, kann man sich in der App komplett frei bewegen und direkt in die ersten, aktuell aktiven Rooms eintreten. Falls der Raum nichts für eine*n ist, einfach über “leave quietly” aussteigen. Das Gespräch läuft sonst, auch wenn man zurück auf den Home-Screen geht, weiter.

Neben einem für alle zugänglichen, öffentlichen Raum besteht auch die Möglichkeit, einen Raum für Personen zu eröffnen, denen man selbst folgt. Darüber hinaus gibt es auch geschlossene Räume, in die nur ausgewählte Personen Zugang haben. Alle drei Optionen funktionieren spontan, lassen sich aber auch vorplanen.

Die Moderator*innen haben die Möglichkeit Redner*innen “auf die Bühne” zu holen, auf der sie dann etwas sagen können. Durch eine Meldung kann man die moderierende Person auf seinen eigenen Redebeitrag aufmerksam machen.

Wie kann Clubhouse für politische Kommunikation genutzt werden?

  1. Townhalls
    Am offensichtlichsten ist die Nutzung der Plattform, um mit Bürger*innen ins Gespräch zu kommen, oder sogar ausschließlich partei-, fraktions-, verbandsinterne Räume zu schaffen. Es stehen noch einige Landtagswahlen an, bevor der Bundestag neu gewählt wird. Die Möglichkeit, einfach auch lokale Gespräche zu führen und weitere Gesprächsführer*innen (z.B. Spitzenpolitiker*innen) dazu einzuladen macht das Format “Townhall” auf Clubhouse sehr interessant. Dafür müsste die App aber für alle zugänglich und nutzbar sein. Sonst bleibt es bei einem kleinen, ausgewählten Kreis und das Bild von “denen da oben” wird verstärkt.
  2. Parteiübergreifende Diskussionen
    Was gerade schon passiert und vermutlich alle begeistert, sind die spontanen, direkten (partei-)übergreifenden Diskussionen. Wann habt ihr das letzte Mal Dorothee Bär (CSU) mit der Unternehmerin Tijen Onaran und der Journalistin Niddal Salah-Eldin über das “Diversity Jahr 2021” sprechen hören? Oder wie häufig bekommt ihr ein spontanes Interview von beispielsweise Kai Diekmann mit Thomas Gottschalk mit? Zukünftig können hier die Expert*innen der Parteien und Fraktionen gemeinsam mit Verbänden zu großen, wie kleinen Themen diskutieren und auf z.B. aktuelle Wahlergebnisse oder Debatten im Bundestag reagieren. Dabei empfehlen sich vor allem zwei Dinge: Eine gute Moderation und ein Protokoll.
  3. Politiker*innen Engagement
    Bisher gibt es nur wenige Accounts von Institutionen, auch wenn das nötige Setup wahrscheinlich gegeben wäre. Doch das Prinzip der Persönlichkeit funktioniert in Kombination mit der eigenen Stimme hervorragend, wodurch eine tot geglaubte Debatte wieder an Fahrt aufnehmen könnte: Sollten politische Akteur*innen, vor allem Politiker*innen selbst im eigenen Namen kommunizieren, oder kann das einfach ihr Team übernehmen? Für das Engagement bei Clubhouse lässt sich beides kombinieren. Das Team erstellt den Raum und moderiert, Politiker*innen interagieren. Darüber hinaus können politische Akteure — in dieser Form wohl einmalig — einfach in Diskussionen einsteigen, oder Gesprächen nur zuhören und damit mehr Nähe zu Bürger*innen schaffen.
  4. Campaigning
    Sobald es Parteiprofile auf der Plattform gibt, ergibt sich unmittelbar die Möglichkeit, Kampagnenkanäle zu erstellen. Diese könnten von jeder Partei für das Wahlkampfjahr genutzt werden — unabhängig von den personalisierten Kanälen der Politiker*innen. Mit den aktuellen Push Notifications, sobald sich einige der eigenen Kontakte im selben Room befinden, oder ein geplanter Room startet, lässt sich sicherlich ebenfalls gutes Agenda-Setting betreiben. Aktuell wird deutlich: Das Interesse an politischen Themen ist auf der Plattform auf jeden Fall vorhanden. Die Herausforderung: Der Login funktioniert über den Besitz des iPhones. Das heißt, es gibt keine Account Logins, die einfach weitergegeben werden können. Dafür braucht es dann gut konzipierte Formate, oder viele Post-/Kuriersendungen.
  5. Interviews
    Ebenfalls offensichtlich und verwunderlich, dass es bislang noch kaum passiert: klassische Medienunternehmen die nach der Talkshow-Fishbowl-Logik nicht nur ihre Gesprächspartner*innen auf dem Podium sitzen haben, sondern auch Zuhörer*innen live in das Gespräch integrieren könnten — quasi DAS Feature, das Podcasts fehlt. Aktuell übernehmen einzelne Journalist*innen und Moderator*innen, sowie Speaker*innen und tatsächlich auch Podcaster*innen diese Rolle, was wieder für den Faktor “Persönlichkeit” spricht. Eventuell sogar der USP der App.
  6. Networking
    Obwohl in amerikanischen Kreisen wenig Vielfalt hinsichtlich der Themen angemerkt wird, scheinen alle Beta-Nutzer*innen in Deutschland sich einig zu sein: Rooms zu so ziemlich allem. Zum einen schafft das die reine Möglichkeit sich zu ausgewählten Themen weiterzubilden. Zum anderen (vor allem im Hinblick auf die Verknüpfung mit anderen Social Media Plattformen) lassen sich so potenzielle, neue Meinungsführer*innen identifizieren und Thought Leaderships ausbauen.
  7. Aktivierung / Rapid Response Reaktionen
    Selten gab es eine derartig unmittelbare Rapid Response in Form eines Austauschformats als Reaktion auf gewisse Ereignisse: zum Beispiel der CDU-Parteitag zu dem kurzerhand ein Room erstellt wurde. Bislang war die Möglichkeit, aktuelle politische Geschehen live zu kommentieren und zu diskutieren, vorrangig in Schriftform (etwa 280 Zeichen) oder, mit höherem Aufwand und entsprechendem Setup (wenn man nicht scheu gegenüber Instagram-Live war) möglich. Für Politiker*innen birgt der Kanal die Chance, sich im Wahlkampf unmittelbar und direkt zu äußern — mit eigenen Worten, aber theoretisch in Jogginghose und ohne 280 Zeichen.
  8. Weitere Aspekte, die interessant werden könnten
    - Lokale Aussteuerung / Rooms
    - Reaktionen / Gesprächsprotokolle in der App
    - “Gast”-Zugänge (single Use) für einzelne Rooms
    - Bessere Moderation durch eine Art “Mikrofon weitergeben”-Funktion

Was sind aktuelle Risiken, Gefahren und Kritik?

Extremismus, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus — die Probleme unserer Gesellschaft finden auch in sozialen Netzwerken einen Raum, werden aber zunehmend reguliert. Clubhouse steht bei der Implementierung von Maßnahmen zum Beispiel gegen Hate Speech noch ganz am Anfang. Welche Folgen das haben kann zeigt sich in den USA: Bereits vor einigen Monaten hat die Journalistin Taylor Lorenz gezeigt, welche Bühne u.a. Rechtsextremisten auf Clubhouse geboten wird.

Es gibt zwar die Möglichkeit, derartiges Verhalten zu melden. Doch auch, wenn die gemeldeten Personen mit ihrer Telefonnummer geblockt würden, tut Clubhouse selbst aktuell sehr wenig (laut Taylor Lorenz Thread sogar eher gegenteiliges), um mehr Verantwortung für die Moderation des Contents zu übernehmen. Dazu zählt auch das Thema Des- bzw. Fehlinformation. Die Gespräche werden automatisch für 36 Stunden gespeichert und nur, wenn keine Meldungen eingehen, gelöscht. Aber wie funktioniert die Prüfung? Und wo genau werden die Daten gespeichert?

Die Corona-Warn-App wurde datenschutztechnisch ziemlich auseinandergenommen. Erst kurz bevor das “Clubhouse-Hype-Wochenende” anfing feierte Signal einen extremen Zuwachs an Nutzer*innen. Grund dafür sind Anpassungen der Datenschutzbedingungen von WhatsApp gewesen.

Bisher gab es dazu hauptsächlich Austausch auf der Plattform selbst. Aber auch auf Clubhouse wird es eine Diskussion um den Datenschutz geben, denn zum Beispiel laden Nutzer*innen das private Kontakte-Adressbuch hoch. Das, was WhatsApp gerade Nutzer*innen kostet, scheint beim aktuellen Hype um “the new kid on the block” also noch unterzugehen. Denn eigentlich müsste jeder einzelnen Kontakt um Erlaubnis gefragt werden, bevor die persönlichen Daten in die USA übertragen werden. Wobei unklar ist, ob die Server denn auch dort stehen. Erste Datenschutzanfragen laufen. Danach wissen wir hoffentlich mehr, was für Daten nach 1–2 Tagen angefallen sind.

Zwei weitere Punkte, die vor allem für die politische Kommunikation auf dem Kanal relevant sein werden: mangelnde Diversität und Inklusion. Laut einem Beitrag von Maggie Tyson existieren sogar “hate rooms” gegen die LGBTQ+ Community, Personen jüdischen und muslimischen Glaubens, People of Color und Frauen. Von vornherein ausgeschlossen sind gehörlose Menschen. So viel sollten die Macher*innen politischer Kommunikation spätestens im letzten Jahr gelernt haben: Diversität und Inklusion müssen aktiv gefordert, gefördert und geschaffen werden.

Was kommt als nächstes?

Für die Creator unter uns: Moderator*innen sollen bald Aufnahmen machen können, was vor allem die Weiterverwertung der Inhalte erleichtert. Nur müssen alle Teilnehmer*innen der Aufzeichnung zustimmen, eventuell lassen sich die Entwickler auch dafür etwas einfallen.

Außerdem soll die App bald auch für Android-Nutzer*innen verfügbar sein. Nicht zuletzt handelt es sich bei der aktuellen Version um eine Beta Version (genauer um Version 0.1.24), was die App nicht ihrer Verantwortung entzieht, aber zumindest einige aktuelle Mankos erklärt.

Soll ich jetzt einen Invite kaufen?

Dank FOMO und Invite-Only hat die App einen Hype geschaffen, der vor allem am Wochenende die deutsche Twitter- und LinkedIn-Blase erreicht hat. Zwei Tage später scheint das exponentielle Wachstum seinen Dienst geleistet zu haben: Fast alle (mit einem iPhone) sind gefühlt auf den Hype-Train aufgesprungen.

Wenn Clubhouse es schafft die Datenschutz- und Hate-Speech-Probleme anzugehen und schon bald auch für Andriod-Nutzer*innen zugänglich ist, hat die neue App das Potential, das passende Kommunikationstool inmitten der Pandemie zu sein. Clubhouse könnte für politische Akteur im “Super-Wahlkampfjahr 2021” einen niederschwelligen Kanal sein, um sehr persönlich mit potenziellen Wähler*inne zu kommunizieren.

Wie immer in der digitalen Kommunikation: Trial and Error wins.

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